Vom Sterbepunkt in unserem Energiesystem
Ein Vortrag von Samuel Widmer
(als CD über www.kirschbluetenshop.de zu erwerben)

Samuel Widmer ist Psychiater und Psychotherapeut und arbeitet seit vielen Jahren in einer Praxis in der Schweiz. Um ihn lebt eine Gemeinschaft mit ca 80 Erwachsenen und 50 Kindern, die Kirschblütengemeinschaft. Er hat in der psycholytischen Therapie sehr viel Erfahrung, hat einige Jahre auch eine Lizenz gehabt in der Schweiz, mit LSD und Ecstasy zu forschen und zu arbeiten. Er hat das Europäische Kollegium für Bewusstseinsforschung und die entsprechende Schweizer Gesellschaft mit begründet. Er hat ca 25 Bücher veröffentlicht.

Um Ihnen von dem zu berichten, was ich will, dieses Lauschen zusammen, dieses In-Beziehung-Sein miteinander - was ja bereits ein ganz konkretes Beispiel ist für das, was ich erzählen will - für diesen nächsten Schritt, den wir alle als Einzelne zu tun haben, den die Menschheit zu tun hat, wenn wir die Krise, die enorme Krise, in der wir sind, zu einer Chance für das nächste Jahrtausend verwandeln wollen, dann muss ich Ihnen zuerst ein bisschen über meinen Hintergrund erzählen, damit Sie meine Sprache, meine Bilder verstehen können. Aber dabei ist es gleich von Anfang an wichtig, auch festzuhalten: wir wollen hier von Fakten reden, von Tatsachen, nicht von Meinungen. Meinungen auszutauschen, das ist eine oberflächliche Angelegenheit. Wir wollen uns hier mit den Tatsachen, mit dem, was wirklich ist, beschäftigen. Wenn ich aber das beschreibe, was ist, so wie ich es wahrnehme, dann brauche ich meine persönliche Sprache, meine Bilder, die gewachsen sind aus meiner Geschichte. Der Ausdruck von dem, was ich sage, das ist persönlich, ist auch mein persönliches Kunstwerk vielleicht.
Aber das zu sehen, was ist, sich selbst zu sehen wie man ist, sich der Wahrheit zu stellen, das ist gewissermaßen ein wissenschaftliches Experiment, und jeder, der es antreten will, jede, die sich dem stellt, wird zu den gleichen Schlüssen kommen oder zu den gleichen Einsichten, die gleiche Wahrheit entdecken. Aber jeder und jede wird es auch wieder anders ausdrücken. Es ist immer sehr schön, auch in der Arbeit mit den Menschen, mit denen wir arbeiten, zu sehen, wenn ein anderer beginnt, das, was er sieht, auszudrücken, dass er auf eine ganz neue Weise wieder dasselbe sagt, was ich gesehen habe, aber eben in seiner Sprache.
Der Hintergrund, aus dem ich rede, ergibt sich aus der Arbeit mit mir selbst und mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben, die zu uns kommen. Die wichtigste Einsicht ist vielleicht die, dass wir gesehen haben, dass wir als Menschen im Wesentlichen eine Energie sind, und dass das Ganze, das Universum, die Welt, das alles im Wesentlichen eine Energie ist und dass das eine Energie ist, in der keine Teilung da ist. Als Individuum, als etwas persönliches, sehe ich mich gewissermaßen als Verdichtung dieser Energie, eine Verdichtung in einem Feld, das durch nichts getrennt ist. Wenn man dann dieses Energiesystem, wie wir das nennen, den Energiekörper, der wir sind, studiert, dann sieht man, dass er unterteilt ist in verschiedene Kompartimente. Im Wesentlichen sind es das Becken, der Bauch, das Herz und der Kopf. Die eine universelle Energie fließt durch diesen Energiekörper hindurch und will sich auf diesen verschiedenen Ebenen ausdrücken. Wir können auch sagen, wir haben verschiedene Möglichkeiten, der Liebe Ausdruck zu geben. Im Becken drückt sie sich aus als Zärtlichkeit, als Sexualität, als Anziehung, im Bauch als Willenskraft, im Herzen dann als Liebe, als Absicht zur Gemeinschaft und im Kopf schließlich als Stille.
Wenn wir diese verschiedenen Kompartimente studieren, dann sehen wir - in unserer Arbeit müssen wir uns ständig mit zwei Bewegungen beschäftigen. Vor allem die Energie im Becken und im Bauch, die lebt nicht frei in uns, sondern sie ist konditioniert, unterdrückt, manipuliert, korrumpiert, und es braucht da einen Weg, diese Energie wieder zu befreien. Das nennen wir den Weg der Psychotherapie, der im Energiesystem sich von oben nach unten durcharbeitet. Der andere Weg, die beiden spielen immer irgendwie ineinander, ist das, was wir als spirituelles Erwachen bezeichnen, ein Erwachen für die Ganzheit dieser Energie. Dieses Erwachen geschieht im Energiekörper von unten nach oben.
Die Menschheit oder die meisten einzelnen Menschen, die die Menschheit ausmachen, leben seit langer Zeit aus der Energie des Beckens und des Bauches. Dafür sind wir als Menschheit erwacht. Das ist das „Ich bin“. Wir nennen dieses Zentrum, das sich auf dem Becken und Bauch, auf dieser Energie und diesem Ausdruck begründet, ob es nun frei ist, gesund ist oder ob es irgendwie unterdrückt ist, wir nennen dieses Zentrum in uns die „egozentrische Persönlichkeit“, die Persönlichkeit, welche sich als ein Abgegrenztes erlebt, als ein Für-sich selbst-Operierendes. Aus diesen Zentren heraus haben wir eine beschränkte Sicht der Wirklichkeit, aus diesem Bereich heraus ist es noch nicht möglich zu sehen, dass da nur eine Energie ist und dass wir im Wesentlichen eine Energie sind. Diese Erkenntnis setzt dann ein, wenn ein Erwachen ins Herz hinein stattfindet, für die Ebene des Herzens, für das gemeinsame Herz. Die Becken- und Bauchzentren, das ist das Persönliche, das Herz, das ist ein Gemeinsames. Wenn dieses Erwachen für das Herz stattfindet im Leben eines Menschen, dann erwacht er für das, was wir die „ganze Persönlichkeit“ nennen, den „ganzen Menschen“, den „erwachten, voll verantwortlichen Menschen“ auch. Es gibt aber dann noch etwas darüber hinaus, über das „ganze Menschsein“ hinaus. Im Kopf findet sich auch eine Energie, und wenn wir diese Energie erfahren, indem wir für sie erwachen, dann erwachen wir für das, was wir als „spirituelle Wesenheit“ bezeichnen, das ist gewissermaßen die Grundmatrix aus der heraus wir leben oder so, wie ich vorhin gesagt habe, dieses eine Feld der Energie, in dem das Persönliche eine Verdichtung ist. Zu erwachen für die Kopfzentren heißt, für diese Grundmatrix zu erwachen und in sie eintauchen zu können, in die Stille, die sie enthält, eintauchen zu können, aus ihr heraus auch leben zu können.
Der nächste Schritt, von dem wir hier reden wollen vor diesem Hintergrund, den ich da kurz skizziert habe, der nächste Schritt der Menschheit, jedes einzelnen Menschen ist, für das Herz zu erwachen. Und dieser Schritt vom Persönlichen, von der egozentrischen Persönlichkeit in die ganze Persönlichkeit, in das erwachte Herz hinein, der geht über einen bestimmten Punkt im Energiesystem, den wir genauer anschauen wollen. Wir nennen ihn den Sterbepunkt. Es ist eine Transformationsschwelle, ein Übergangspunkt in unserem Energiesystem, eine Prüfstation auch, an dem wir daraufhin getestet werden, ob wir bereits die Reife haben, in diesen nächsten Bereich zu erwachen ohne uns selbst oder anderen damit Schaden zuzufügen. Wir finden im Energiesystem dann noch eine zweite solche Transformationsschwelle in der Mitte des Kopfes, wir nennen sie wegen der Probleme, die da zu bewältigen sind, den Wahnsinnspunkt oder auch den Machtpunkt und wegen dem, was da gewonnen wird, den Stillepunkt. Von dieser Schwelle werden wir nicht reden, aber ich möchte sie einfach erwähnen, dass da auch noch eine zweite solche Schwelle ist, in der dann dieses Erwachen für das, was wir als „spirituelle Wesenheit“ bezeichnen, stattfinden kann. An der ersten Schwelle, am Sterbepunkt, legen wir gewissermaßen den Willen hin, wir fügen ihn ein. Vorher dominiert er das Ganze und im Herzen bekommt er seinen Platz als Werkzeug, er stellt sich etwas größerem zur Verfügung. Im Kopf geht es dann noch um mehr, da legen wir alle Konzepte ab, die die Wirklichkeit, auch das, was ich hier erzähle, dieses Konzept wird da wieder abgelegt, weil die Beschreibung nicht das Ding ist und weil alle Konzepte die Wirklichkeit in ein Korsett einfangen, das zu eng ist.
Der Solarplexus, das Zentrum des Willens, ist das, woraus der Mensch lebt, seit Jahrtausenden. Becken und Bauch bilden in uns kindliche Zentren, das ist der kindlichste Teil in uns. Aus dem Becken zu lieben, aus dem Bauch zu lieben ist die kindlichste Liebe, die wir kennen. Und ich meine „kindlich“ nicht im Sinne einer Abwertung, sondern einfach als eine Tatsache. Das ist das, was zuerst erwacht ist in uns - es gibt noch mehr Reife. Das erklärt auch, warum die Welt aussieht wie ein riesiger Kindergarten, in dem keine Kindergärtnerin ist.
Das Problem ist auch, dass der Wille immer wieder versucht, in einem Feld zu operieren, das ihm nicht zusteht. Der Wille hat im Lebendigen nichts zu suchen. Der Wille hat zum Beispiel in Beziehungen nichts zu suchen. Das Lebendige ist ein Geschehnis, das von etwas anderem gesteuert wird. Aber das sieht der Wille nicht, und deshalb will er alles lenken, und auf diese Weise schafft er eine große Unordnung, das ist das, was wir in der Welt sehen, und diese Unordnung wächst uns immer mehr über den Kopf und damit setzt dieses Erwachen ein für die Herzebene, für etwas Umfassenderes. Sexualität und Wille sind wunderbare Instrumente, sie bilden den Nährboden für die höheren Zentren, aus ihnen lebt das Herz. Aber für sich allein sind sie wie ein Kind, das keine Eltern hat.
Die nächste Ebene ist also dieses entfaltete Herz. Damit wollen wir uns aber nicht beschäftigen hier, das ist dann wieder ein anderes Thema, sondern mit diesem Entwicklungsschritt, der uns als Zauberlehrlinge in eine große Not geraten lässt, weil wir mit diesen Kräften nicht richtig umgehen können. Was wir aus dem Willen heraus in die Welt setzen, damit können wir nicht richtig umgehen, und wir sehen uns da in einer großen Not. Die Welt liegt heute in einer Agonie. Das Persönliche muss sterben, dieser Entwicklungsschritt in etwas anderes muss stattfinden. Dieser Schritt ist unabdingbar geworden. Wo man hinschaut, in jedem Winkel der menschlichen Gesellschaft sieht man dieses Hauptproblem, dass der Wille etwas dominieren will, das nicht in seinem Bereich liegt, nicht in seinen Möglichkeiten liegt. Die Wege des egohaften, eigensüchtigen Strebens führen nicht mehr weiter, sondern sie mehren die Katastrophe, es ist gewissermaßen ein Quantensprung auf eine andere Umlaufbahn oder auf eine andere Ebene des Seins notwendig geworden. Und diese andere Ebene ist diese Herzpersönlichkeit, die sich nicht als eine abgegrenzte versteht, sich nicht als Objekt definiert, sondern sich durch ihr Bezogensein definiert.
Hier kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt. Heute hört man immer wieder: es ist ein großer Schritt angesagt für die Menschheit, und dieses neue Erwachen, das wird ein Erwachen für die Spiritualität sein. Aber Spiritualität beginnt im Becken. Das ganze Erwachen ist ein spirituelles Erwachen, aber doch letztlich, wenn wir von Spiritualität reden, meinen wir meist das, was sich dann in den Kopfzentren zeigt. Und dieses Erwachen, diese zweite Transformationsschwelle, das steht nicht an für die Menschheit als Gesamtes, das wird Thema sein in einigen tausend Jahren, denke ich. Das, was im Moment ansteht ist das Erwachen für das Herz. Das passt zu uns, das würde uns gerade so passen, diesen Schritt auslassen zu können.
Wenn wir in unser Leben schauen, in unsere Welt schauen, sehen wir: das ist irgendwie das Schwierigste. Nirgends funktioniert Gemeinschaft, Beziehungen funktionieren nicht, also retten wir uns doch darüber hinweg in einen spirituellen Himmel, der dann aus Plastik ist. Die verwirklichte Gemeinschaft ist die Grundlage für ein nüchternes spirituelles Erwachen. Das ist dann der nächste Schritt, der dann viel später kommen wird. Im Moment ist dieser Schritt über den Sterbepunkt angesagt - den Willen niederlegen zugunsten des Gemeinsamen. Wenn ich von Moment rede, meine ich dabei nicht einige Jahre oder Jahrzehnte, sondern das sind Prozesse von Jahrhunderten, vielleicht sogar Jahrtausenden.

Es geht also ums Sterben bei der ganzen Sache, und das, was sterben muss, ist der Eigennutz, der Wille, der für sich selbst operiert. Die Zeit des Willens ist vorbei, der Wille hatte seine Blüte, aber diese Zeit ist vorbei. Er müsste seine Macht abtreten, und das fällt ihm natürlich schwer. Deshalb ist ja der Tod, das Sterben unter uns Menschen auch so verdrängt. Als wir erwachten für das „Ich bin“ vor Tausenden von Jahren, für dieses egozentrische Dasein, als dieses Erwachen stattfand, kam damit auch die Einsicht, dass das Egozentrische ein Ende hat. Alles Persönliche hat auch ein Ende. Und das war ein großer Schock im menschlichen Bewusstsein, das wollten wir nicht wahrhaben, wir haben das verdrängt. Das war ein notwendiger Prozess, ein unumgänglicher, unglücklicher auch, ein Prozess, der uns all die Mythen und Erzählungen über ein Überleben, ein individuelles Überleben nach dem Tod gebracht hat. Auch heute werden solche Hoffnungen immer noch genährt, indem man von einem Überleben des Individuellen in einem höheren Selbst spricht. Aber das Persönliche muss wirklich sterben, der Wille muss sich wirklich hingeben, er stirbt nicht wirklich dabei, es ist vielmehr so, dass er seinen Platz erkennt, sich einfügt in ein größeres Ganzes. Er stellt sich zur Verfügung als ein Werkzeug, das er eigentlich ist. Dies wäre dann die zweite Hälfte auf dem Weg zum Erwachen zum Herzen. Die erste Hälfte war dieser Schock, den wir noch immer nicht ganz überwunden haben, dass das Persönliche enden wird, und der zweite Schritt ist dann die Hingabe dieses Persönlichen ans Ganze. Und ich denke, dafür werden wir noch mal eine lange Zeit benötigen, die Menschheit als Ganzes. Einzelne können diese Entwicklungsschritte schon weiter machen, also ein Einzelner kann auch in die Kopfebenen hinauf erwachen, dem steht nichts im Weg. Er geht dann einfach einen sehr einsamen Weg und er bahnt damit die Zukunft der Menschheit vor. Aber für uns gewöhnliche Menschen steht dieser Schritt am Sterbepunkt an. Unser Ego erlebt dieses Erwachen in etwas Größeres hinein als einen Tod, deshalb ist da diese große Angst. Und erst nach dem Durchtritt wird sichtbar - nicht für das Ego, das ist gestorben - sondern nach dem Durchtritt wird sichtbar, dass es eigentlich eine Geburt war.
Erst wenn dieser Schritt vollzogen ist, dieses Sterben im Sterbepunkt, kann der Vogel der Wahrnehmung sich im Herzen entfalten und frei zu fliegen beginnen. Das ist dann das, was wir als Spiritualität bezeichnen können. Ich hoffe, wir sind immer noch bei diesem Lauschen auf das Ganze. Das ist das Wichtigste, das IST diese Öffnung des Herzens. Einfach theoretisch über diese Dinge zu reden, bringt nicht viel, nichts eigentlich. Aber das zusammen gleich zu tun, diese Erfahrung zu machen, in dieses Gemeinsame hinein sich zu öffnen, indem alles gleichwertig da ist. Und der beste Weg, den ich gefunden habe dazu, ist dieses Lauschen über das Ohr. Letztlich geht es um eine Offenheit aller Sinne, um ein ganzes Dasein mit allen Sinnen. Aber über das Ohr ist der Einstieg am einfachsten. Den ganzen Fluss wahrzunehmen, die Autos draußen, die Stimme der Übersetzerin, auch die Musik, die die Stille macht.

Ein bewusstes Sterben vollzieht sich im Verlaufe eines Lebens, sofern es gelingt, in drei Schritten: Der erste Schritt ist dieses Sterben über den Sterbepunkt, das Erwachen ins Herz hinein. Der zweite ist der Schritt über die zweite Transformationsschwelle, am Stillepunkt, der Eintritt in die Stille hinein. Wenn diese Schritte nicht gelungen sind, dann stirbt ein Mensch - das ist dann der dritte Schritt - nicht wirklich bewusst. Ein bewusstes Sterben, das heißt ein Ablegen des Körpers und allem, was damit zusammenhängt, das ist vor allem die egozentrische Persönlichkeit, da bewusst hindurchzugehen, ohne das Bewusstsein zu verlieren, ist unmöglich, wenn diese beiden ersten Schritte im Leben nicht stattgefunden haben.
Hier reden wir von diesem ersten Schritt, weil er der zentrale Schritt ist, der für die meisten von uns ansteht. Der Wille geht zusammen mit allem Beherrschenden und Kontrollierenden in uns. Er ist auch begleitet von den abwehrenden Gefühlen wie Neid, Hass, Eifersucht, deshalb dominieren diese Gefühle in der Welt. Krieg und Konflikt sind Ausdruck des Willens, wenn er in einem Feld operiert, das ihm nicht zusteht. Und das ist genau das, was wir überall sehen in der Welt.
Ich will ein Beispiel wählen, um das zu erläutern. Ich wähle das Drogenproblem, weil ich mich damit viel befasst habe, das gut kenne, aber Sie können jedes andere große Problem, das die Menschheit hat, nehmen, oder auch die kleinen, vor allem Beziehungsprobleme, die wir alle haben. Überall finden Sie dieses Grundproblem drin, dass der Wille versucht etwas zu steuern, was ihm nicht zusteht.
Beim Drogenproblem sehen wir: das, was die Menschen tun, ist, wir versuchen mit immer noch mehr und noch mehr vom gleichen diese Schwierigkeit unter Kontrolle zu bringen, mit Repression, mit Strafaktionen, mit Verboten. Wir haben dabei riesige Kontrollapparate aufgebaut, Verfolgungsapparate, und wir sind mit ihnen durchwegs allen gescheitert. Im Gegenzug dazu sahen wir uns dann gezwungen, ebenso riesige Helferinstitutionen aufzubauen, und sie haben auch nichts ausgerichtet. Das Problem ist eskaliert und nicht kleiner geworden. Auf der anderen Seite haben wir ebenso große Maschinerien - die Drogenmafia, die Kriminalität, die Geldwäscherei, all dieses Dinge. Offensichtlich, auch da findet langsam ein Erwachen statt, braucht es einen Durchbruch in eine ganz andere Richtung. Aber der Wille ist uneinsichtig, er bäumt sich auf und will mit immer noch mehr und noch mehr vom gleichen einfach dem Problem Herr werden. Der Wille will siegen, weil das sein Gesetz ist. Aber zu seinem Gesetz gehört auch, dass wenn er in einem Feld operiert, das ihm nicht zusteht, dann findet er die Niederlage. Denn dadurch bricht eine neue Dämmerung an. Überall ist Krieg, weil der Wille etwas lösen will, was er nicht lösen kann. Wir ersticken zunehmend in gewaltigen und letztlich doch ineffektiven bürokratischen Maschinerien, mit denen der Wille versucht, seine Diktatur aufrecht zu erhalten. Einsichtige Menschen sehen schon lange, dass eine Lösung in eine ganz andere Richtung notwendig ist und dass sie sich auch einmal durchsetzen wird, nämlich dann, wenn der Wille am Ende ist. Es scheint deshalb auch, dass die Menschheit an diesem Tiefstpunkt nicht vorbeikommen wird. Der Wille will nicht aufgeben, bevor er sich nicht den Ast abgesägt hat, auf dem er sitzt.
Die Lösung des Herzens für all diese vielschichtigen menschlichen Probleme ist eine ganz andere. Erst im Herzen erwacht zu sein, macht den Menschen wirklich zum Menschen, zu einem mitfühlenden, tragenden, liebenden Wesen. Wir können das auch wieder anhand des Drogenproblems studieren, als Beispiel einfach. Die Lösung des Herzens ist eigentlich ganz einfach: Das Herz gibt die Verantwortung dahin zurück, wo sie hingehört - zu jedem Einzelnen. Es mischt sich nicht ein. In Bezug auf das Drogenproblem heißt das: jeder soll doch die Drogen nehmen, die er halt will, und auch die Konsequenzen davon haben, die er dann hat. Das erwachte Herz kann auch im Stich lassen, wenn es nötig ist, weil es selbst das Im-Stich-gelassen-sein vollumfänglich in sich integriert hat. Durch diesen Schritt würden die ganzen Kontrollapparate kollabieren, die Helferinstitutionen verschwinden und auch auf der anderen Seite die Drogenmafia - all das bricht zusammen. Und der Wille könnte dann den Platz einnehmen, der ihm zusteht: die Staaten könnten den Vertrieb, den Handel, die Herstellung der Substanzen organisieren, saubere Angebote machen, Geld verdienen damit, Steuern einnehmen.
Damit wäre das Problem, das aus dem aufgeblasenen Willen resultiert, gelöst, aber natürlich nicht das eigentliche Problem, denn das ist ja nur ein Symptom. Das wirkliche Problem könnte dann sichtbar werden, und das wirkliche Problem ist, dass wir süchtig sind, eigensüchtig sind. Wir sind eine durch und durch eigensüchtige Gesellschaft. Süchtig ist man, wenn man verzweifelt etwas sucht, das einem fehlt, ohne zu wissen, was es ist und ohne es finden zu können.
Vom erwachten Herz aus gesehen ist das, was uns fehlt, ganz offensichtlich: das was uns allen fehlt, ist Liebe. Es fehlt uns an Erwachtsein im Herzen. Wir haben nicht genug Geborgensein, wir fühlen uns nicht getragen im Netzwerk der Beziehungen. Und es liegt daran, dass wir nicht bereit sind, für einander zu sorgen, sondern in unserer ständigen Betonung der Eigensucht, der Eigenwilligkeit unser ganzes gesellschaftliches System auf Gier, Ehrgeiz, Konkurrenzdenken, Neid usw. aufgebaut haben. Wir sorgen nicht für einander. Jeder denkende, intelligente Mensch sieht, dass ein Schritt zum Sorgen füreinander notwendig geworden ist, dass es uns als Einzelnen nur gut gehen kann, wenn wir dafür sorgen, dass es allen gut geht, und dass das nur möglich ist, wenn jeder Einzelne das einsieht und zu leben beginnt. Wenn wir uns um dieses Problem kümmern würden, dann würden die Symptome verschwinden, wie zum Beispiel das Drogenproblem, sie fallen in sich zusammen. Wir entziehen ihnen die Energie, weil wir uns nicht darum kümmern. Es gibt keine Lösung für all diese Probleme, es gibt nur ihre Auflösung im Erwachen des Herzens. Am Ende, um das mit dem Drogenproblem als Beispiel noch fertig anzuschauen, wird dann jeder und jede diejenigen extatischen Mittel benutzen, die ihm halt gut tun, und er wird lernen, so damit umzugehen, dass weder für ihn noch für andere Schaden daraus erwächst. Das ist Selbstverantwortung, und die kann nur wachsen, wenn man jeden sich selbst mit dem Problem überlässt. Dadurch wäre das Drogenproblem plötzlich kein Problem mehr, sondern vielmehr eine Quelle der Freude, eine Quelle auch für vielfältige kulturelle Rituale, die dann der Lebensfreude, der Extase wieder einen Platz in unserem Leben geben könnten.

Wir sind immer noch beim Lauschen, hoffe ich. Vielleicht schließen wir zwischendurch die Augen wieder, es ist schwierig, wenn man Sprache hört, Inhalt hört, sich nicht darauf zu konzentrieren. Aber dann verpasst man das Wesentliche. Das, was ich sage, ist nicht wichtiger als das Geräusch der Autos draußen.

Erst wenn man auf diese Weise lauscht, darin ist auch kein Überdenken des Gesagten, keine Antwort darauf, sondern ein unmittelbares Damit-Sein, Beziehung zwischen uns, ein Anteilnehmen aneinander, mit etwas unmittelbar zusammen sein. Nur wenn das da ist, versteht man wirklich, dann hat man unmittelbare Einsicht in alles. Und das ist der Schritt, von dem wir hier reden, dieses Erwachen ins Herz hinein. Wenn wir nun noch betrachten, welches die wesentlichen Faktoren sind, welche das Vorgehen des Willens und das Vorgehen des Herzens kennzeichnen, dann werden wir besser verstehen können, worum es bei diesem Schritt am Sterbepunkt geht. Der Wille der tut immer etwas. Er kontrolliert, dominiert, beherrscht. Das ist seine Art. Da ist nichts falsch dran, in seinem Feld ist das richtig. Das Herz dagegen, das lässt los. Es mischt sich nicht ein. Es überlässt sich. Der Wille reißt alle Verantwortung an sich. Er will auch Abhängige schaffen, um dominieren zu können. Das Herz dagegen betont die Eigenverantwortung. Es gibt sie dahin zurück, wo sie hingehört. Der Wille hat immer ein Konzept. Er will alles seinem Konzept unterwerfen. Das, was sich fügt, gehört zur eigenen Partei und wird beschützt. Das, was sich nicht fügen will, wird bekämpft, ist der Feind. Das Herz hingegen achtet und respektiert das So-Sein eines jeden. Es trägt Sorge dazu. Der Wille grenzt sich ab, das Herz öffnet sich. Der Wille dreht sich immer um das Eigene, er will das Eigene gegenüber dem Ganzen durchsetzen. Das Herz wendet sich immer dem Ganzen zu, indem es dem Eigenen darin seinen Platz gibt. Die Lösung des Herzens, das ist Liebe. Liebe in jedem Fall, überall, immer. Und Liebe, das ist das, was wir hier zusammen üben, hoffe ich, dieses reaktionslose Sein mit allem, was da ist. Dieses Anteilnehmen, unmittelbare Anteilnehmen an allem, was da ist. Wenn Liebe da ist, gibt es keine Konflikte. Wenn Liebe da ist, dann können wir tun, was wir wollen, es wird immer Freude schaffen. Wenn sie nicht da ist, können wir auch tun was wir wollen, es schafft immer Leid; und jeder Versuch, dieses Leid zu beenden, schafft noch mehr Leid. Wenn Liebe da ist, wird alles ganz einfach, dann fliegt der Vogel der Wahrnehmung frei im Herzen und sein Flug erhebt sich dann weit über das Herz hinaus und kennt keine Grenzen.
Wenn wir nun noch beachten, welche Gefühle mit diesem Übergang am Sterbepunkt verbunden sind, dann wird uns klarer werden, warum uns das Sterben so schwer fällt. Warum wir uns dagegen wehren. Der Wille geht zusammen mit den siegreichen Gefühlen. Er will dominieren, gewinnen… Das ist seine Art, das ist in Ordnung, wenn er in seinem Feld bleibt. Er will herausragen. Wenn er aber in ein Feld geht, das ihm nicht zusteht, dann geht er zusammen mit den negativen Gefühlen, Neid, Hass, Eifersucht. Weil ihm diese Gefühle auch im Unterlegen sein eine Stärke erlauben. In diesem Tun verrennt sich der Wille und das ist das, was wir getan haben auf der Welt. Nach endlosen langen Kriegen wurden wir zur Kapitulation gezwungen. Das Kapitulieren, das Einsehen seiner Grenzen, das Eingeständnis seines Unvermögens geht aber zusammen mit ganz anderen Gefühlen, nämlich mit Ohnmacht, mit Hilflosigkeit, mit Verlassen sein, im Stich gelassen sein, am tiefsten Punkt dann die Einsamkeit. Das sind die Herzgefühle. Wenn sich das Herz öffnet, melden sich zuerst diese Gefühle und diese will der Wille um keinen Preis haben. Er will sich gut fühlen und stark fühlen. Diese Gefühle, diese Herzgefühle müssen um jeden Preis verleugnet sein. Sie dürfen nicht wahr sein.
Und wenn wir noch mal das Drogenproblem nehmen, sehen wir: der Drogenabhängige, das ganze Drogenproblem manifestiert genau diese Gefühle in der Welt, erinnert uns daran. Wir sind halt trotzdem da. Und wenn Sie irgendein anderes Problem nehmen, werden sie sehen: überall findet der Wille in seiner Niederlage schließlich diese Gefühle. Wenn er sie annehmen lernt statt sich in negative Gefühle zu retten, die ihm eine Stärke erlauben, dann kann dieses Erwachen einsetzen.

Nun sieht aber nur vom Zentrum des Willens aus gesehen diese Niederlage so trostlos aus, so hoffnungslos... Vom Herzen aus gesehen, wenn das Erwachen stattgefunden hat, ergibt sich ein völlig anderer Blickwinkel. Das Herz hat keine Probleme, sich zu ergeben, sich hinzugeben, sich zu überlassen. Im Gegenteil, es ist genau die Lebensart in diesem Bereich unserer Seele - hingegeben zu sein. Deshalb findet hier, beim Übergang über diesen Sterbepunkt, diese Verwandlung statt. Die Ohnmacht des Kriegers wandelt sich in die glückselige Hilflosigkeit eines Säuglings. Das Ausgeliefertsein transzendiert in ein Aufgehobensein. Das, was wie ein Tod ausgesehen hat, wird zu einer Geburt in einen umfassenderen Bereich hinein. Der Wille, der sich als alter Kämpfer sieht, der jede Schlacht gewinnen muss, sieht sich plötzlich an der Hand genommen von Papa und Mama und in einen Bereich geführt, der viel schöner ist, in dem man nichts verteidigen muss, weil alle füreinander sorgen. Er kommt gewissermaßen als verlorener Sohn nach Hause und findet da seinen Platz.
Auch das Denken, das mit diesem Willen zusammen geht, bricht an diesem Punkt zusammen. Das Denken, das davon ausgeht, dass es alles kontrollieren muss. Es macht einem neuen Denken Platz, einem gemeinsamen Denken, einem füreinander Denken, miteinander Denken. Eine Art des Denkens, das vom isolierten Bereich des Willens aus gesehen völlig undenkbar erscheint, höchstens als ein sektierischer Wahn erscheint. Wenn diese Möglichkeit dieses neuen Denkens sich zeigt und auch die Sinnlosigkeit des unendlichen Kampfes, den der Wille geführt hat, gesehen wird, dann erwacht im Herzen eine riesige Trauer. Eine heilsame Trauer auch. Sie ist das Erwachen des Mitgefühls im Herzen. Der unendliche Schmerz über das Verpasste, über das, was in Sturheit und Festhalten zerbrochen wurde, reißt das Herz weit auf. Und der Schmerz, der sich da zeigt, hat bereits die gleiche Qualität wie die Liebe, die dann einzudringen beginnt. Wenn das Herz voll ist vom Schmerz, dann ist es weit geöffnet. Wenn alle Einsicht integriert ist, hat der Schmerz ein Ende, weil er rund geworden ist und weil eine vollkommene Verzweiflung identisch ist mit der Liebe. Die Liebe fürchtet das Ausgeschlossensein nicht mehr, sie kämpft nicht mehr für Zugehörigkeit. Sie ist selbst Heimat und darin allein. Sie bekämpft auch die Liebesgeschichten anderer nicht, sondern sie beschützt sie. Sie beschützt sie, weil sie sich nicht ausgeschlossen fühlt davon. Wer die Liebe im Herzen trägt, ist immer eingeschlossen. Er schließt immer ein, er ist Heimat für sich selbst und für alles, was er berührt.
Damit kommen wir zum Transformationsprozess, das ist das, was wir dann im Workshop am Nachmittag vor allem anschauen wollen. Nur noch ganz kurz will ich darauf hier eingehen. Bei diesem Übergang über diesen Sterbepunkt klinken wir uns wieder ein in etwas, was ich den Transformationsprozess nenne. Das, was wir hier geübt haben - wach sein, da sein, dem Ganzen zugewendet sein - das ist Aufmerksamkeit. Wenn die Aufmerksamkeit vollkommen ist, dann ist Einsicht da. Und wenn die Einsicht vollkommen wird, dann setzt ein Transformationsprozess auf der Energieebene ein. Das, was an unruhigen Energien da ist, an schwierigen Gefühlen, negativen Gefühlen da ist, wird aufgenommen im Solar und über den Sterbepunkt immer wieder gewandelt. Das ist etwas, was nicht getan werden muss, das ist etwas, was geschieht. Und diese Energie wird dann vom Herzen aus wieder als gereinigte, als Grundenergie abgestrahlt. Wenn man das für sich selbst getan hat, zuerst tut man das für sich selbst, dann ist aber die Geschichte nicht zu Ende, sondern dann tut man es für die Welt, dann wird man zu einem Energiegenerator, der überall wo er ist, das Unruhige sammelt, in sich transformiert und Stille und Liebe zurückgibt. Das ist unsere Aufgabe, unsere Berufung. Aber es ist auch unser Kreuz, das wir zu tragen haben.
Wenn wir uns dieser Aufgabe ganz ergeben - da ist nichts zu tun außer zu tragen - wenn wir uns da ganz ergeben, dann kommt das andere Erwachen, das eigentliche spirituelle Erwachen dann ganz von selbst zu uns als Gnade, als Geschenk. Währenddem wir im Solar aufnehmen, was Heilung braucht, es über den Sterbepunkt führen, es wieder ausstrahlen als gereinigte, als heile Energie in die Welt, beginnt sich darüber der Vogel zu seinem unendlichen Flug zu erheben.
Soweit also diese Ausführungen zum Sterbepunkt, diesem wichtigen Übergangspunkt in unserem Energiesystem, an dem wir für eine völlig neue Dimension des Menschsseins erwachen können. Die alte egozentrische, von Grenzen lebende Persönlichkeit stirbt da zugunsten eines unbegrenzten, voll erwachten, voll verantwortlichen Menschen. Dies ist der nächste Schritt, den die Menschheit und damit jeder einzelne, jede einzelne von uns zu tun hat, in unserem Alltag, in unserem Zusammensein, in unseren Beziehungen. Dann wird die enorme Krise in der wir sind zu einer Chance werden für das nächste Jahrtausend.

Im Workshop heute Nachmittag, wenn Ihr da teilnehmen wollt, werden wir diese Einsichten noch etwas vertiefen und dann versuchen, sie vor allem auch mit lebendiger Erfahrung zu füllen.